Bratislava, Pozsony, Pressburg: Eine slowakische oder ungarische Stadt?

Geschichte
26. März 2024

Die drei Namen sind für manche heutige Stadtbewohner ein Dilemma. Oder aber ihr ganzer Stolz. Je nachdem, zu welcher Weltanschauung sie erzogen wurden.

„… das stimmt, aber auch keine magyarische, sondern eine deutsche Stadt. Aber das ganze Hinterland ist slowakisch und unsere wirtschaftlichen Bedürfnisse zwingen uns, Pressburg einzuverleiben. Pressburg wird unser Donauhafen. Ein großer Teil unseres Exports, besonders Holz, Kohle und Zucker, braucht den Wasserweg.“

Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937). Der erste Präsident der ČSR auf den Einwand eines Journalisten 1918, dass Pressburg keine slowakische Stadt sei.

In unserer Familie hörten wir von den Großeltern noch allerhand Nostalgisches von den „guten alten Zeiten“. Etwas davon bleibt haften, ob man will oder nicht. Die Ungarn redeten mit Stolz über die Zeit nach dem Ausgleich 1867, als die Hafenstadt Fiume an der Nord­adria (heute Rijeka) eine ungarische war.

Die Generationen der kommunistischen Zeit, speziell die im slawischen Kontext, lernten von der Monarchie hingegen als vom „Kerker der Nationen“ (žalár národov), lernten vom Absolutismus von Metternich und Bach.

Unsere Geburtsstadt ist seit 1993 Hauptstadt einer unabhängigen Slowakischen Republik. Doch wie war die historische Zusammensetzung ihrer Bevölkerung? Pressburg war immer schon multiethnisch und multisprachlich, aber wie multiethnisch genau?

Max Schlesingers Aus Ungarn aus dem Jahr 1850 soll uns einen Einblick in die zeitgenössische Berichterstattung über die Stadt gewähren. Wie objektiv eine solche Quelle ist, hängt davon ab, wer schreibt (Deutscher? Ungar? Slawe?), wann und warum er schreibt und wie genau der Autor seine journalistische Verantwortung nahm. Dieses Pressburg ist eine deutsch-magyarisch-slovakische Stadt, nebstbei königliche Freistadt und Sitz eines katholischen Gymnasiums, eines lutherischen Lyceums, mit so und so viel Einwohnern, öffentlichen Plätzen, Gebäuden, Mieths­kutschen, Spitzbuben und Juden. Es ist darüber in jeder österreichischen Schulgeographie das Nähere nachzulesen und Mühe werth Pressburg zu studieren, denn wer diese Stadt kennt, kennt auch die andern, in denen eine gemischte Bevölkerung lebt. Sie gleichen sich alle mehr oder weniger. Ihr Charakteristikum ist das Spießbürgerthum in seiner schmutzigsten, üppigsten, allerweitesten, allerengsten Entfaltung. Der Pressburger Bürger war seit einer Reihe von Jahren ultramagyarisch und mochte es nicht leiden, daß seine Kinder anders als magyarisch sprachen, und trug einen Rock mit Schnüren vorn und hinten, und verbrauchte alle Jahre ein paar Thaler auf Pomaden, um seinen Schnurbart in magyarische Formen zu bringen, so lange es nämlich auf den Reichstagen etwas für ihn zu verdienen gab, und so lange das ungarische Sporengeklirr einen guten Klang hatte in Wien und Ofen …

Was Schlesinger über die „ultramagyarische“ Einstellung schreibt, können die Autoren teilweise bestätigen. Dass man es „nicht leiden mochte, daß seine Kinder anders als magyarisch sprachen“, dieses Phänomen gab es auch noch viel später. Doch die Behauptung, dass die Bürger überwiegend magyarisch waren, können wir nicht bestätigen.

1918 haben die Ungarn, genauer die k. u. k. Monarchie, die Donaustadt an die neu entstandene Tschechoslowakei verloren. Hat es sich damals eher um eine ungarische oder eine slowakische Stadt gehandelt? Wurde sie mit Recht der Tschechoslowakei zugesprochen? Für Ungarn, wie es die Vorfahren der Autoren waren, eine inakzeptable These.

Es klingt irgendwie komisch, aber den Aufstieg Pressburgs bzw. Pozsonys zur Haupt- und Krönungsstadt des Königreichs Ungarn – in den Jahren 1536 bis 1830 wurden im Martinsdom elf Könige und acht Königinnen gekrönt – konnten die Bürger einer ganz anderen Nation verdanken. Den Türken. Es begann am rechten Donauufer bei Mohács, in der Nähe der Grenze zu Kroatien und Serbien. Man schrieb den 29. August 1526. Die osmanischen Truppen unter Süleyman I. fügten den Ungarn eine vernichtende Niederlage zu, wobei auch König Ludwig II. fiel. Auf Ungarisch hieß er Lajos II., was ungarisch klingt, doch reichten seine Wurzeln quer durch Europa nach Böhmen, zu den Habsburgern, nach Luxemburg und zu den Jagiellonen nach Litauen.

Mohács war neben Trianon eine der großen Katastrophen der ungarischen Geschichte, mit Auswirkungen auf ganz Europa, das zuschaute und den christlichen ungarischen Brüdern nicht zu Hilfe kam. Bis heute zählt Több is veszett Mohácsnál (Mehr ging bei Mohács verloren, bei Mohács haben wir viel mehr verloren) zu den bekanntesten ungarischen Redewendungen. Reg dich nicht auf, es ist nicht so tragisch, es gibt Schlimmeres, diesen Verlust können wir verkraften …

Der ungarische Adel sah die Rettung in der Flucht nach Norden, wohin man nach und nach die wichtigsten Organe des Staates verlegte. So entschied 1536 der ungarische Landtag. Pressburg wurde Sitz des Königs, des Erzbischofs und der wichtigsten Institutionen. Und ungarische Krönungsstadt, nur einen Katzensprung von Wien entfernt. In jener Zeit haben die Ungarn und die Slowaken übrigens noch nicht gestritten (von kleinen Streitereien in Regionen, Dörfern und zwischen Nachbarn abgesehen, die es überall auf der Welt immer schon gegeben hat). Jene Problematik war noch nicht einmal geboren. Das hat noch weitere 250 Jahre gebraucht.

„Krönungsstadt der ungarischen Könige“, das klingt beeindruckend, und auf den ersten Blick scheint die in der Überschrift gestellte Frage leicht beantwortbar: Pozsony wäre der passendere Name der Stadt. So mancher ungarische Nationalist ist bis heute davon überzeugt, dass die Slowaken den Ungarn manches weggenommen haben, darunter Pozsony.

Doch eine genauere Analyse historischer Daten zeigt überraschende Erkenntnisse, dass nämlich Pressburg so gut wie nie überwiegend ungarisch war.

Aha, also doch slowakisch …

Nein, auch nicht.

Pressburg war über Jahrhunderte vor allem eine deutsche Stadt.

Der Anteil der slawischen Bevölkerung war nicht zuletzt in der Umgebung der Stadt höher, als es die Ungarn wahrhaben wollten. Es lohnt sich, einen Blick auf diese Zahlen zu werfen. Denn aus ihnen lassen sich wichtige Meilensteine der Geschichte ablesen und erkennen, woher manche Narbe stammt.

Die frühesten Angaben zur ethnischen bzw. sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung sind bloß grobe Schätzungen. Im 17. Jahrhundert lebten in Pressburg etwa 50 Prozent Deutsche, 33 Prozent Slawen (eine genaue Unterscheidung zwischen Slowaken, Tschechen und anderen Slawen ist aus diesen Daten nicht möglich, was manche slowakische Kreise ungern hören) und 17 Prozent Ungarn. 1785 hat es eine Volkszählung unter Joseph II. gegeben, die etwa 7 Millionen Einwohner Ungarns aufwies, doch rückblickend keine genaue Differenzierung nach sprachlichen oder ethnischen Kriterien ermöglicht.

Genauer werden die Daten erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Volkzählung von 1850 gibt 70 Prozent Deutsche an, 10 Prozent Slowaken (bzw. Slawen) und lediglich 6 Prozent Ungarn. Bemerkenswert ist der hohe Anteil der jüdischen Bevölkerung, nämlich 13 Prozent! Demnach lebten knapp nach den dramatischen Revolutionsjahren 1848/49 in Pressburg doppelt so viele Juden wie Ungarn. Die Ungarn waren nicht die größte, sondern die kleinste der wichtigen Volksgruppen. Die Zahlen sind deswegen so interessant, weil sie aus der Zeit vor dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn stammen, und damit vor der Zeit der später folgenden Magyarisierung. Umso verblüffender ist die eingangs zitierte Notiz aus Schlesingers Buch aus dem Jahr 1850 über die Dominanz der Madjaren.

Nur ein Jahr später, 1851, bleiben die Angaben ähnlich, nur stieg der Anteil der Deutschen auf 74,6 Prozent und jener der Slowaken auf 17,9 Prozent.

Die erste wirklich zuverlässige Volkszählung erfolgte 1880. Das war 13 Jahre nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich, der 1867 proklamiert wurde, jener verfassungsrechtlichen Vereinbarung, durch die das Kaisertum Österreich in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn umgewandelt wurde.

Dieser große Tag in der Geschichte der Ungarn war für die anderen Völkerschaften der Monarchie nicht unbedingt ein Grund zum Feiern. Den Tschechen half es wenig, dass sie sich auf das historische Staatsrecht der Wenzelskrone beriefen. Ihr Ziel, die Wiederherstellung des böhmischen Königreichs, wie es vor der Niederlage am Weißen Berg (Bílá Hora) existiert hatte, konnten sie nicht verwirklichen. So fühlten sich die Tschechen um ihren eigenen Ausgleich betrogen. Ihrem Empfinden nach standen einem der großen historischen Kulturvölker Europas die gleichen Rechte zu wie den Ungarn. Anders als im Falle der Ungarn ließ sich Franz Joseph nicht zum böhmischen König krönen, aus lauter Angst, den Tschechen dadurch den Rücken zu stärken, und weil die ganze Geschichte kein Ende genommen hätte und schließlich auch die Südslawen ähnliche Ansprüche erhoben hätten. Die Monarchie drohte zu zerbröseln. Den Tschechen blieben kaum andere Optionen offen: Sie wandten sich zunehmend dem Panslawismus als der einzigen Lösung des tschechischen Dilemmas zu.

Die Nationalitätenfragen konnten die Regierungen in Wien und Budapest nach 1867 nach eigenem Gutdünken handhaben. Nehmt ihr eure Horden, wir nehmen unsere, hieß es. In beiden Reichshälften lebten viele Slawen. Doch während Cisleithanien (die österreichische Hälfte) sich zumindest zögerlich als Vielvölkerstaat sah, träumten die Führer Transleithaniens (des ungarischen Teils) davon, die nicht-magyarische Hälfte der Einwohnerschaft (nur etwa 50 Prozent der Bevölkerung stellten die Ungarn) so bald und effektiv wie möglich zu magyari­sieren. 1868 wurde ein Nationalitätengesetz beschlossen, welches bestimmte, dass die ungarische Sprache alleinige Staatssprache wurde und alle Bewohner Ungarns eine unteilbare ungarische Nation bilden sollten.

Nun aber zurück zur Volkszählung des Jahres 1880. Der Anteil der Deutschen fiel auf 63,4 Prozent, jener der Slowaken (bzw. Slawen) stieg hingegen auf 15,5 Prozent. Und der Anteil der Ungarn hatte sich seit der letzten Volkszählung verdoppelt, doch auch so erreichte er bloß genau den Wert der Slowaken, nämlich 15,5 Prozent. Dies ist doch ein verblüffendes Ergebnis: Zwei Drittel der Bevölkerung waren Deutsche, ein Drittel teilte sich auf Slowaken (bzw. Slawen) und Ungarn auf. Nur zehn Jahre später, 1890, konnten bereits 40 Prozent der Bevölkerung Ungarisch, während der Anteil der deklarierten Ungarn mit 19,9 Prozent jenen der Slowaken mit 16,6 Prozent erstmals überstieg. Die deutsche Bevölkerung fiel auf 59,9 Prozent, weitere zehn Jahre später, zur Jahrhundertwende, auf 50 Prozent. Jeder zweite Stadtbewohner war aber immer noch Deutscher. Deutsch gesprochen haben freilich viel mehr.

Der Trend war mit diesen Zahlen vorgegeben, das nächste Ergebnis im Jahr 1910 kam nicht überraschend: Zum ersten Mal erreichte die ungarische Bevölkerung mit 40,5 Prozent fast den Wert der Deutschen mit 41,9 Prozent, während die Slowaken auf 14,9 Prozent schrumpften.

Genau diese statistische Momentaufnahme ist dem Onkel aus der Kindheit in Erinnerung geblieben, wahrscheinlich weil man sie wiederholt in ungarischen Quellen fand und sie in der ungarischen Seele als Faktum eingeprägt war. Pressburg sollte zur Hälfte ungarisch sein, zur anderen deutsch, und dann gäbe es auch noch einige wenige Slawen oder Slowaken, fast schon eine vernachlässigbare Zahl …

Ein solcher Befund, so unpräzise (und ungerecht) er war, galt allerdings nur für den Zeitpunkt der genannten Volkszählung und nicht für die gesamte Geschichte. In ungarischen Ohren klang das Ergebnis wunderbar, doch spiegelten diese Zahlen nichts anderes als die mehr als 40 Jahre andauernde massive Magyarisierungspolitik wider.

Dann folgte der Erste Weltkrieg und an seinem Ende der Zerfall der Monarchie. Prompt wendete sich das Blatt. Bereits 1919 erreichte der Anteil der nun schon tschechoslowakischen Bevölkerung (es hat einen massiven Zuzug von Tschechen gegeben, um die neuen tschechoslowakischen Staatsstrukturen aufzubauen) 32,9 Prozent und überholte damit die Ungarn mit 29 Prozent. Die Deutschen bildeten mit 36,3 immer noch die stärkste Sprachgruppe.

Nun sind wir in einem neuen Land ange­kommen, und es ist nicht wirklich schwer zu erraten, in welche Richtung sich die Zahlen entwickeln werden. 1930 hat es bereits 48 Prozent „Tschechoslowaken“ gegeben, 26 Prozent Deutsche und nur noch 15 Prozent Ungarn.

Drei Jahre vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland lag der Anteil der Juden an der Bevölkerung von Bratislava noch bei 12 Prozent. Annähernd so viele Juden wie Ungarn haben damals in der Stadt gelebt.

 

1938 liegen wir dann bei 42 Prozent „Tschechoslowaken“, 21,8 Prozent Deutschen und 12,9 Prozent Ungarn. Dann folgt die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Sieg über Hitlerdeutschland, und die Volkszählung des Jahres 1950 zeichnet ein dramatisch verändertes Bild: Nur noch 0,6 Prozent Deutsche (zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt minimierte sich der Anteil der deklarierten Deutschen gegen Null), die Zahl der Ungarn fiel auf 3,5 Prozent, während die „Tschechoslowaken“ 90,2 % erreichten.

Als eine der Folgen des unheiligen klerikal-faschistischen „Slowakischen Staates“ blieben nur noch 0,4 Prozent Juden übrig, obwohl es vermutlich auch ohne diesen Staat ähnlich ausgegangen wäre. Und noch ein weiterer dramatischer Faktor führte zu diesem stark veränderten Ergebnis: Die Proklamation der Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen und Ungarn aus der Tschechoslowakei sowie die sogenannte Reslowakisierung. Das war eine Art historische Retourkutsche der Slowaken als Antwort auf die Magyarisierung der Vergangenheit.

Basierend auf der Volkszählung 2011 leben in Bratislava gegenwärtig 90,85 Prozent Slowaken, 3,42 Prozent Ungarn und 0,23 Prozent Deutsche.

Die schlichte Aufzählung der Entwicklung der Bevölkerungszahlen offenbart die Stadtgeschichte der letzten beiden Jahrhunderte. Freilich, es hat sehr viel Zuzug und ebenso viel Abwanderung gegeben. Die Letztere konnte mehr oder weniger freiwillig oder gewaltsam erzwungen sein. Für viele Deutsche am Ende des Zweiten Weltkriegs, es mussten keine Nazis gewesen sein, galt es, rechtzeitig zu verschwinden, bevor die Russen Bratislava besetzten. Oft war die Abwanderung erzwungen, wie im Fall der Opfer der Beneš-Dekrete. Dann handelte es sich um Vertreibung, die gleichermaßen Deutsche und Ungarn traf. Die Vorfahren der Autoren väterlicherseits wurden ihr Opfer, jene mütterlicherseits entgingen ihr am Ende nur dadurch, dass sie sich gegen ihr Empfinden und Gewissen „reslowakisierten“. Die Oma wurde Slowakin, auch wenn sie ihr Leben lang kaum ein Wort slowakisch sprach.

Bereits die erste Tschechoslowakei hat Bratislava ethnisch stark verändert, von der kommunistischen Zeit ganz zu schweigen. Doch hat sich der harte Kern der alteingesessenen Pressburger Bevölkerung nicht ganz in Luft aufgelöst! Nicht alle Deutschen und Ungarn wurden vertrieben. Dieser Überrest ist nicht völlig verschwunden, auch wenn er stark verwässert wurde. Wie soll man dann aber die Ergebnisse des Jahres 2011 verstehen, die 90,85 Prozent Slowaken angeben, nur 3,42 Prozent Ungarn und lediglich 0,23 Prozent Deutsche?

Die Antwort ist einfach: Die Kinder und Kindeskinder der nicht vertriebenen Deutschen und vor allem der Ungarn, von denen es viel mehr gegeben hat, sind größtenteils assimiliert worden. Teilweise sprechen sie nicht einmal mehr eine dieser Sprachen, denn sie haben slowakische Schulen besucht und als Fremdsprache bis 1989 zuerst noch Russisch gelernt. Sie haben häufig slowakische Partner geheiratet. Ihre Kinder sprechen die Sprache ihrer Vorfahren eine oder höchstens zwei Generationen später nicht mehr.

Das statistische Ergebnis einer Volkzählung soll man daher nicht mit einem genetischen oder ethnischen Befund verwechseln. Der Onkel galt in seiner Kindheit als Slowake, obwohl er die Sprache noch nicht einmal sprechen konnte. Der Neffe gilt seit seiner Geburt als Slowake, doch viele seiner Vorfahren beherrschten die slowakische Sprache nicht.

Wir sollten eine andere, nicht zu leugnende Botschaft der Zahlen nicht übersehen. Im Selbstverständnis der Ungarn war Pozsony über die Zeiten eine stark ungarisch dominierte Stadt. Das slawische Element und seine Rolle wurden im Bewusstsein der ungarischen Geschichtsauffassung minimiert, manchmal geradezu eliminiert. Sicher zählte das slawische Bevölkerungselement über die Jahrhunderte generell nicht zu den Bildungseliten der Stadt. Das wäre auch unmöglich gewesen, denn die meiste Zeit hat es in Oberungarn keine slowakischen Schulen gegeben, und selbst dort, wo es sie schon gegeben hat, hat man sie nach 1867 im Rahmen der Magyarisierung abgeschafft. Die Masse der slawischen Bevölkerung rund um Pressburg waren einfache Menschen aus der Umgebung, Bauern und Landwirte, Saisonarbeiter, Bedienstete, die der Elite dienten, zunehmend auch Arbeiter in der immer stärkeren Industrie.

Vor allem im 19. Jahrhundert begann sich dann eine slowakische Bildungsschicht herauszubilden, oft handelte es sich um evangelische oder katholische Geistliche. Sie wurde zum Träger der nationalen Erweckungsbewegung der Slowaken, wobei die Anfänge dieser Entwicklung sprachlich noch stark tschechisch geprägt waren.

Bratislava oder Pozsony, darauf gibt es somit nur eine zutreffende Antwort: Pressburg war über die Jahrhunderte und bis in das 20. Jahrhundert sprachlich eine überwiegend deutsche Stadt, was bereits Präsident Masaryk im eingangs angeführten Zitat betonte. Das slawische Element war wesentlich stärker, als manche Ungarn heute zugeben wollen. Vor dem Einsetzen der Magyarisierung hat es zeitweise doppelt so viel slawische Bevölkerung gegeben wie ungarische, und auch Juden hat es prozentuell mehr gegeben als Ungarn.

Auf ein anderes Blatt gehört die Tatsache, dass die Pressburger ihre drei oder mehr Sprachen als das Natürlichste der Welt ansahen und viele der Bewohner alle drei Sprachen beherrschten. Wenn man in Bezug auf das historische Bratislava – Pressburg – Pozsony auf etwas stolz sein kann, dann ist es diese lange multilinguale und multikulturelle Geschichte mit starkem jüdischem Einfluss. Es hat Zeiten gegeben, in denen Toleranz zur Normalität gehörte.

Und dann hat es auch ganz andere Zeiten gegeben, die bis heute Narben hinterlassen haben.

 

Robert Hofrichter

Peter Janoviček

Bilder und Fotos: Archiv von Pressburger Kipferln

 

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